03.01.2022
Der langjährige FCS-Kapitän im Interview
Hannes Kiem – hinter diesem Namen steht ein Leben in weiß und rot: seine Karriere beim FC Südtirol begann mit gerade einmal 15 Jahren. Nur zwei Spielzeiten später kam das Profi-Debüt unter Mister Attilio Tesser. Diesem ersten Einsatz in der Serie C2 in der Saison 2002/03 sollte ein Jahr in der Serie D bei Mezzocorona folgen, wo er zum unabdingbaren Stammspieler heranreifte, um dann als solcher wieder zum FCS zurückzukehren. Es sollten zwölf Spielzeiten im weißroten Trikot werden, die er bald auch als Kapitän verbringen sollte. Die Binde befand sich somit lange Zeit am Arm eines Abwehrspielers, der große Freude, aber auch einige äußerst schwierige Momente erlebte. Er gab stets alles, arbeitete wie ein Verrückter, mit Passion und Enthusiasmus, ganz im Zeichen seines absoluten Willens, niemals aufzugeben. Hannes Kiem – großzügig und sachlich, entschlossen und resolut – war mit seinen 243 Einsätzen über die halbe Vereinsgeschichte des FC Südtirol ein wahrer Protagonist derselben.
Ein Dutzend Spielzeiten in weiß und rot: was bedeutet der FCS für Dich, Hannes?
„Der FCS ist ein sehr, sehr wichtiges Kapitel meines Lebens, sowohl was den fußballerisch-professionellen, als auch den menschlichen Aspekt anbelangt. Ich war 15 Jahre alt, als ich mit viel Leidenschaft und Motivation zum FCS wechselte. Ich habe viel Freude und viele Emotionen, glückliche und weniger glückliche Momente miterlebt. Mit 30 Jahren habe ich den Verein verlassen, der immer in meinem Herzen bleiben wird.“
Erzähl uns von den schönsten Momenten …
„Ich erinnere mich an mein Debüt im Drusus-Stadion, als ob es heute gewesen wäre: ich war 16 Jahre alt, wir lagen mit 3:0 in Führung und Mister Tesser schickte die gesamte Bank zum Aufwärmen. Ich spielte im Berretti-Team, trainierte seit mehreren Monaten mit der ersten Mannschaft und wurde einige Male für den Kader derselben nominiert. An jenem Tag – während des Aufwärmens – warf mir der Trainer einen Blick zu und rief mich zu sich, um mir zu sagen, dass ich nun in die Partie kommen würde. Er gab mir noch mit auf den Weg, ruhig zu bleiben und mich von den erfahrenen Spielern auf dem Platz leiten zu lassen. Ich wurde eingewechselt, mit purer Freude im Herzen – es waren zehn herausragende Minuten, die ich nie vergessen werde. Es hat sich in jenem Moment ein großer Traum für mich erfüllt, den ich seit geraumer Zeit hegte. Ein weiterer fantastischer, wie unvergesslicher, Moment war der Gewinn der Meisterschaft in der Saison 2009/10. Aber auch das Erringen des Klassenerhalts in den Play-Outs nach schwierigen Spielzeiten waren Augenblicke großer Freude.“
Gibt es gewisse unvergessliche Partien, gewisse erinnerungswürdige Leistungen, die Dir im Kopf wie im Herzen geblieben sind?
„Es gab sehr viele schöne, fröhliche Momente und auch – wie es in der Logik der Sache liegt – schwierige Zeiten. Es waren alles Situationen, die für den persönlichen wie mannschaftlichen Wachstumsprozess sehr wichtig waren. Vor allem die Niederlagen, die Leidenszeiten, machen einen stärker. Wenn wir uns in den Play-Outs gerettet haben, fühlte es sich immer ein wenig an, als hätten wir die Meisterschaft gewonnen. In Sachen unvergessliche Partien tun sich auf die Schnelle für mich zwei hervor: eine davon war das Heimspiel gegen Alghero in der Meisterschaftssaison. Wir mussten ein Tabu gegen ein Team aus der Welt schaffen, das uns im Vorjahr in die Play-Outs verbannt und uns im Hinspiel deutlich mit 3:1 besiegt hatte. Algheros Spielweise war, um es mit einem Euphemismus auszudrücken, nicht gerade sportlich und hatte mit Fairplay wenig gemeinsam. Der Coach hat uns die gesamte Woche über heiß auf diese Partie gemacht, indem er uns immer wieder daran erinnerte, was zuvor gegen Alghero vorgefallen war. Auf einem matschigen, teilweise zugefrorenen Feld siegten wir schließlich dank einer bärenstarken Leistung souverän mit 2:0 und konnten uns von unseren Gegnern in der Tabelle absetzen. Das zweite unvergessliche Spiel, das mir sofort ins Gedächtnis zurückkehrt – sowohl wegen meiner persönlichen, als auch wegen der mannschaftlichen Performance – ist jenes gegen Legnano. Wir siegten mit 3:2, ich erzielte dabei zwei Treffer. Für einen Verteidiger ist es alles andere als einfach, einen Doppelpack zu schnüren. Für mich war es das einzige Mal, deshalb bleibt das natürlich im Kopf. Was das Ganze umso schöner machte, war, dass meine Tore zu einem immens wichtigen Sieg gegen einen direkten Konkurrenten führten. Darüber hinaus gibt es natürlich viele weitere Erinnerungen: die gewonnenen Play-Out-Partien, aber auch jene in den Play-Offs, die nicht so verliefen, wie wir uns das vorgestellt hatten. So etwa das Finale in Vercelli, wo wir um ein Haar in die Serie B aufgestiegen wären.“
Und welche waren die schwierigsten Momente?
„Sicherlich meine Verletzungen. Vor allem der Kreuzbandriss im Jahre 2006. Ich war damals 21 Jahre alt, hatte eine schwierige Phase hinter mir, spielte wenig und war acht Monate außer Gefecht. Es war unter allen Gesichtspunkten ein äußerst schwieriger Moment. Der Verein stand mir damals sehr nahe und gab mir Selbstvertrauen, denn er hat immer an meine vollständige Genesung geglaubt. Deshalb gab es von meiner Seite anschließend den unbändigen Willen, stärker als vorher zurückzukommen. Es gab aber auch schwierige Momente auf Vereinsebene: zwischen 2006 und 2009 haben wir sportlich nichts Großes geleistet und trotzdem sind wir danke dieser Phase alle gewachsen: die Spieler, vor allem die Eigengewächse, und auch der ganze Klub. Später erlitt ich noch einige weitere Verletzungen am Knie, die – wenn auch nicht so schlimm wie die erste – zu drei weiteren Operationen führten. Auch das waren nicht einfache Phasen, denn ich fiel längere Zeit aus und musste mich zurückkämpfen. Bei der Reha brauchte ich meine ganze Willenskraft, welche mir zum Glück nie fehlte. Der Krieger in mir ist nicht einfach zu knacken (lacht).“
Welcher von Deinen Trainern hat Dir am meisten gegeben? Wer war prägend für Dich?
„Hier muss ich einen Trainer besonders hervorheben: Alfredo Sebastiani. Er hat bereits im Jugendsektor der Weißroten immer an mich geglaubt. Er hat in mir einen Jungen gesehen, der unbedingt neue Dinge erlernen, verstehen und anwenden wollte, der dauerhaft an sich arbeiten und wachsen wollte, indem er auf Ratschläge und Tipps hörte und diese übernahm. Vielleicht war ich technisch nicht der Beste, aber ich ging immer positiv an die Dinge ran und an Biss und Kampfgeist fehlte es mir ohnehin nicht. Er war in sämtlichen Momenten für mich da: als ich jung war, als wir in der ersten Mannschaft des FCS erneut zusammenfanden und auch danach. Ich habe ihn immer sehr geschätzt und tu dies auch heute noch. Dass ich so lange auf Profiniveau spielen konnte, ist vor allem sein Verdienst, da er mir viel beibrachte. Er ist eine aufrichtige, offene und ehrliche Person, die ich sehr schätze. Ich bin stolz auf das Verhältnis, das sich zwischen uns etabliert hat. Ebenso erwähnen muss ich Attilio Tesser: er war der Coach, der mich bei den Profis debütieren ließ. Er hat mir Vertrauen geschenkt, als ich noch sehr jung war. Er hat mich an die erste Mannschaft herangeführt, mich unter allen Gesichtspunkten heranreifen lassen und mich – wenn sich die Möglichkeit bot – oft eingesetzt. Diese Momente steigerten mein Selbstbewusstsein, so wie gegen Mantua in den Play-Offs zuhause, wo ich mit 17 über eine halbe Stunde spielen durfte. Unter Aldo Firicano, bei dem harte Arbeit ebenso ganz oben stand, wurde ich zum unabdingbaren Stammspieler. Im Gesamten muss ich aber sagen, dass ich das Glück hatte, von jedem Coach etwas lernen zu können. Dafür bin ich dankbar.“
Stichwort Kampfgeist und Herz: Du warst immer Führungs- und Stammspieler, aber es gab auch Spielzeiten, ab dem Jahre 2012, wo Du zu Beginn nur als Alternative zu anderen Innenverteidigern gesehen wurdest, ehe Du Dir Deinen Platz auf dem Feld erkämpft hast…
„Ich habe die Rolle als Alternative, als Reservist, wahrgenommen, wollte mich aber nicht so sehr davon konditionieren lassen, sondern mir vielmehr durch Einsatz, harte Arbeit, Hingabe, Konstanz und Leistung mir meinen Platz auf dem Feld erkämpfen und verdienen. Immer ist mir das nicht gelungen, aber meistens konnte ich meine Coaches überzeugen. Deshalb konnte ich in meiner Karriere eine bedeutsame Anzahl an Einsätzen sammeln. Das ist für mich Grund zur Zufriedenheit. Ich habe nie aufgegeben, sondern immer versucht, mein Bestes zu geben und mir einen Platz in der Mannschaft zu erkämpfen, egal unter welchen Bedingungen.“
Mit welchen Teamkollegen hattest Du die beste Beziehung? Mit wem hast Du heute noch Kontakt?
„Sicherlich zu sämtlichen Südtiroler Spielern, mit denen ich im Jugendsektor der Weißroten aufgewachsen bin. Einige sind etwas älter als ich und kamen vor mir in die erste Mannschaft, andere hingegen sind etwas jünger und stießen später zu uns. Es gibt viele gute Teamkollegen und Freunde, mit denen ich diesen langen, bedeutsamen Lebensabschnitt teilen durfte: Brugger, Bachlechner, Bacher, Cia, Scavone, Fink, Tait und viele andere. Ich bin allen sehr verbunden, denn wir sind immer noch gute Freunde, auch wenn sich unsere Wege trennten und uns in verschiedene Richtungen führten. Mit Mattia Marchi verbindet mich eine spezielle wie enge Beziehung: wir sind wahre Freunde, auch unsere Familien.“
Du hast fast die halbe Vereinsgeschichte des FCS mitgeschrieben: konntest und kannst Du ein konstantes Wachstum des Klubs vernehmen?
„Es freut mich wirklich sehr, zu hören, dass ich den Klub mitgestalten durfte. Das erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit. Wenn man bedenkt, wo und wie ich gestartet bin war es alles andere als einfach für mich, Profi zu werden. Bis zu meinem 14. Lebensjahr spielte ich im Verein meines Heimatdorfes, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Dort fand ich sicherlich gute Bedingungen zum Erlernen des Fußballspielens vor, aber sicherlich nicht mit den Methoden und der alltäglichen programmatischen Linie eines Jugendsektors im Format des FC Südtirol zu vergleichen. Ich habe wie ein Verrückter an mir gearbeitet, um mich weiterzuentwickeln, habe immer alles gegeben – und genau das hat der FCS auch immer für mich getan. Der Klub hat schwierige Momente erlebt, zog aber mit der Zeit die richtigen Schlüsse, um einen signifikanten Wachstumsprozess anzustoßen, allen voran in Sachen Infrastruktur. Das neue Sportzentrum, zum Beispiel, ist ein wahres Prunkstück. Bis zum Jahr 2013 haben wir fast jeden Tag auf einem anderen Platz trainiert. In den letzten Jahren wird somit sehr wohl ein entschlossener Fortschritt mit signifikanten Vorzügen ersichtlich.“
Verfolgst Du den FCS noch?
“Ja, und dies mit großer Freude. Dank der Tageszeitungen und der sozialen Medien gibt mittlerweile unzählige Möglichkeiten, durch die man sich dauernd, gut und ausgiebig informieren kann. Ich bin selbst noch bei Naturns in der Landesliga aktiv, deshalb schaffe ich es nicht, die Partien im Stadion zu sehen. Ich habe mir dies aber fest vorgenommen. Ich möchte mir unbedingt das neue Drusus-Stadion ansehen, eine weitere wertvolle Struktur in der Entwicklung des Vereins.“