Der Tormanntrainer von Stefano Vecchi ist fußballerisch bei Milan und Atalanta aufgewachsen. Er kann auf eine prestigeträchtige Karriere als Schlussmann zurückblicken, zumal er in der Serie A, bei Vicenza, und in der Serie B, bei Venezia, Vicenza, Genoa, Napoli, Pescara und Mantova das Tor hütete.
Nachdem den Lesern in der letzten Ausgabe der FCS News Vecchi’s rechte Hand Aldo Monza vorgestellt wurde, ist in dieser Auflage Torwarttrainer Pierluigi Brivio an der Reihe. Der 50-jährige Mailänder hat mit über 400 Profieinsätzen, von denen 73 in der italienischen Serie A, eine herausragende Goaliekarriere hinter sich. Nach den Erfahrungen als Torwarttrainer bei Portogruaro, Monza und Albinoleffe, begann im Sommer 2015 bei Inter Mailand die Zusammenarbeit mit Stefano Vecchi. Nun wollen sie auch in Südtirol gemeinsam erfolgreich arbeiten.
Coach Brivio, erzählen Sie uns etwas über Ihre Karriere als Profitorhüter…„Als gebürtiger Mailänder habe ich im Jugendsektor von Milan mit dem Fußballspielen begonnen. Nach einigen Jahren bei den „Rossoneri“ zog es mich nach Bergamo, wo ich – nach dem bestandenen Probetraining – meine Chance bei Atalanta erhielt. Ich spielte sechs Jahre im Jugendsektor der Schwarz-Blauen, zweieinhalb davon als Schlussmann deren „Primavera“. Nachdem ich auch schon konstant mit den Profis trainierte, kam es zu meinem ersten Wechsel – auf Leihbasis – zu Palazzolo. Nach einer kurzen Rückkehr zu Atalanta, der endgültige Wechsel zu den Himmelblauen. Nach fünf Saisonen bei Palazzolo, von denen zwei in der Serie C2 und drei in der C1, wagte ich im Sommer 1994 den Sprung zu Vicenza. In meinen ersten zweieinhalb Jahren bei den Lanerossi durfte ich oft nur zusehen und als Motivator mithelfen. Doch ich gab nicht auf und holte im Frühjahr 1997 als Stammtorhüter den Italienpokal. Auf diesen Triumph folgten für mich zwei Jahre in der Serie A und eine Spielzeit in der Serie B als Nummer 1 von Vicenza. In der Saison 2000/01 – meiner ersten bei Venezia – gewannen wir die 2. Liga und stiegen somit in die Serie A auf. Nach der zweijährigen Erfahrung in der Lagunenstadt wechselte ich in den darauffolgenden Saisonen mehrmals Verein: zuerst Genoa, dann Napoli, Pescara und Mantova. In meinen letzten Karrierejahren zog es mich Richtung Heimat, weshalb ich eine Saison in Monza und zwei bei Pergocrema in der Serie C bestritt.“
Wer hat dir im Laufe deiner Karriere am meisten beigebracht? Oder wer waren die wichtigsten Menschen für deinen Werdegang?„Ehrlich gesagt haben mir viele sowohl auf professioneller als auch auf menschlicher Ebene etwas mitgegeben. Im jungen Alter ging es eher darum, sich im Team zu integrieren und Teil von etwas Größerem zu werden. Danach beginnt man, der Professionalität und den technischen bzw. taktischen Lektionen mehr Wert zuzuschreiben. Die Jahre in Vicenza, insbesondere unter der Führung von Francesco Guidolin und Ernesto Galli, waren sicherlich ausschlaggebend für mein Karriere. Sie machten mich nicht nur zum Stammtorhüter des Teams, sondern gaben mir auch in Sachen Mentalität, Arbeitskultur, Opferbereitschaft und Intensität viel mit.“
Auf welchen Moment in der Karriere blickst du besonders gerne zurück?„Auf den unerwarteten Triumph im Italienpokal der Saison 1996/97. Dank des Sieges konnten wir in der darauffolgenden Saison am Europapokal der Pokalsieger teilnehmen. Wir lebten einen Traum, der erst im Halbfinale sein Ende fand. Unser Gegner war niemand Geringeres als der FC Chelsea, angeführt von Italiens Elite-Spielern Gianluca Vialli und Gianfranco Zola. Diese doppelte Begegnung war sowohl der Höhepunkt meiner Erfahrung in Europa als auch die bitterste Enttäuschung meiner Karriere. Zu Beginn des Turniers hatten wir keine großen Erwartungen, doch dank harter und bescheidener Arbeit wurden wir uns unserer Fähigkeiten bewusst und kämpften uns bis unter die letzten vier.“
Die Saison 1997/98 ist somit sicherlich eine der wichtigsten in der Vereinsgeschichte von Vicenza…„Ganz bestimmt. In jener Saison kamen Pasquale Luiso, Roberto Baronio, Francesco Coco, Arturo Di Napoli, Lamberto Zauli, Marco Schenardi, Lorenzo Stovini und Massimo Ambrosini zu Vicenza. Die Anfangsphase war im Einklang mit den Erwartungen und ohne große Höhepunkte. Im Italienpokal kam jedoch das bittere Aus gegen Pescara, die damals eine Spielklasse tiefer spielten.“
In Europa wehte jedoch ein ganz anderer Wind…„Stimmt, auch wenn wir wirklich nicht von Losglück sprechen durften. In der ersten Runde musste wir gegen Legia Warschau ran. Das Hinspiel im „Menti“ gewannen wir mit 2 zu 0, welches wir im Rückspiel in Polen mit Bravour über die Runden brachten. In der nächsten Runde standen wir Shaktar Donetsk gegenüber. Gegen den ukrainischen Spitzenclub konnten wir uns auswärts mit 1 zu 3 und in Vicenza mit 2 zu 1 durchsetzen.“
Weiter ging es mit dem Viertelfinale…„Der Lostopf stellte uns die Niederländer des Roda Kerkrade gegenüber. Dank des Doppelpacks von Luiso und den Treffern von Belotti und Otero konnten wir in Holland einen 4 zu 1-Erfolg einfahren. Im Rückspiel feierten wir einen 5 zu 0-Kantersieg mit fünf unterschiedlichen Torschützen: Luiso, Firmani, Mendez, Ambrosetti und Zauli.“
So stand Vicenza gemeinsam mit Chelsea, Stuttgart und Lokomotiv Moskau unter den besten vier. Die Startelf im Halbfinale gegen Chelsea kennen die Vicenza-Fans noch heute auswendig: Brivio, Belotti, Mendez, Dicara, Viviani, Schenardi, Di Carlo, Ambrosini, Ambrosetti, Zauli, Luiso. Am Abend des 2. April 1998 hatten es die Lanerossi mit einem sehr „italienischen“ Chelsea zu tun: Zola, Leboeuf und Di Matteo standen im Feld, Gianluca Vialli war seit einigen Wochen Spieler-Trainer der Londoner…„Dank eines Traumtores von Lamberto Zauli gingen wir zuhause nach nur 15 Minuten in Führung. Wir brachten den Vorsprung über die Zeit und spielten uns somit den Finaleinzug im Stamford Bridge…“
Vicenza erwischte in der Heimstätte der „Blues“ einen ausgezeichneten Start und ging sogar mit 1 zu 0 in Führung. Die Weißroten hatten das Finale vor Augen. Chelsea ließ jedoch nicht locker und drehte nicht nur das Spiel, sondern auch die Qualifikation für das Finale: 3 zu 1 der Endstand…„Die 3 zu 1-Niederlage im Stamford Bridge war ein Schlag ins Gesicht. Wir beendeten die Meisterschaft mit nur einem Punkt Vorsprung auf die Abstiegszone. Die Spiele in Europa kosteten uns sehr viel Energie…“
Wann und wie wurden Sie zum Torwarttrainer?„Es geschah in meinem letzten Jahr bei Pergocrema. Ich war damals zwischen 39 und 40 Jahre alt und schlüpfte in die Rolle des Tutors für zwei junge Zöglinge. Einer von ihnen war Simone Colombi, der sich zurzeit in der Serie B einen Namen macht. Als es in jener Saison zum Trainerwechsel kam, wurde ich offiziell zum Torwarttrainer des Teams ernannt. Ich habe mich langsam aber sicher in diese Rolle versetzt und übe diesen Job nun schon seit zehn Jahren aus.“
Wie haben Sie und Coach Vecchi sich kennengelernt bzw. wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?„Stefano (Vecchi, Anm.d.Red.) und ich wohnen nur 3-4 km entfernt. Wir trafen uns deshalb immer wieder auf den Fußballfeldern der Umgebung. Das Feeling unter uns „Bergamaschi“ ist etwas Besonderes. So richtig kreuzten sich unsere Wege dann als ich bei Pergocrema und er bei Tritium war. Stefano hatte gerade die Serie C2 gewonnen, während wir eine Liga höher den Klassenerhalt feierten. Der Präsident von Pergocrema wollte am Ende jener Saison die beiden Clubs vereinen. So kam es dazu, dass wir uns im selben Büro wiederfanden, um gemeinsame Zukunftspläne zu besprechen. Auch wenn aus der Fusion nichts wurde, gab es in jenem Jahr (2010, Anm.d.Red.) unseren ersten richtigen Kontakt. In seiner ersten Saison bei den Junioren von Inter hatte er den Bozner Paolo Orlandoni als Torwarttrainer. Als dieser den Club verließ, holte Coach Vecchi mich in seinen Trainerstab.“
Wie finden Sie sich beim FC Südtirol zurecht?„Hier, in dieser kontinuierlich wachsenden Realität, fühle ich mich sehr wohl. Der Verein hat große Lust, eine wichtige Rolle im italienischen Fußball anzustreben. Nicht in großen Tönen, sondern unaufgeregt und mit Kopf. Hier sind alle Bedingungen vorhanden, um gute Arbeit leisten zu können. Jahr für Jahr entwickelt sich der FC Südtirol weiter und fügt dem Puzzle di fehlenden Teile hinzu. Eine Einstellung, die gut zu mir passt. Ich gebe zu, dass die Umstellung, nicht mehr zu Hause zu wohnen anfangs nicht leicht war, doch jetzt habe ich es ganz gut hinbekommen. Organisation ist gefragt.“
Was können Sie uns über Cucchietti, Taliento und Grbic sagen?„Tommaso Cucchietti hat eine feine Technik und steht gut im Tor. Nach außen hin wirkt er meist sehr gelassen, doch auch ihn lassen die Emotionen, die einem der Fußball geben kann, nicht immer kalt. Sie gehören einfach zum Torwartsein dazu und helfen beim Reifeprozess. Unterm Strich ist er ein sehr verlässlicher Torhüter. Roberto Taliento hat die große Gabe, gewissen Situationen im Voraus zu erkennen. Oft führt dieser Instinkt jedoch dazu, voreilige Entscheidungen zu treffen. Im Training zeigt er immer großen Einsatz und auch im Serie C-Pokalspiel gegen Feralpisalò gab er der Mannschaft einen sicheren Rückhalt. Die beiden Schlussmänner formen gemeinsam mit dem jungen und motivierten Kristian Grbic eine richtig coole Arbeitsgruppe. Jeder von uns hat das Ziel, in dieser Saison so viel wie möglich dazuzulernen.“